Auf dem Fußballplatz ist die Situation klar: Baut sich zwischen dem Freistoßpunkt und dem Tor eine Mauer auf, dann muss man sich entscheiden, ob der Ball darüber oder an einer der Seiten vorbeigezwirbelt wird. Der Ball nimmt auf jeden Fall am Ende genau einen der möglichen Wege: Entweder wird er von der gegnerischen Mannschaft geblockt, zappelt im Netz oder geht ins Toraus. Anders wäre es, wenn das Fußballspiel in der Quantenwelt stattfände: Erstaunlicherweise könnte dann nämlich der Ball zu einem Teil links um die Mauer herumfliegen, zu einem anderen Teil rechtsherum und teilweise sogar mitten durch sie hindurch. Zumindest gälte das, wenn der Ball ein punktförmiges oder nahezu punktförmiges Teilchen der Quantenwelt wäre und niemand zuschaute, bevor das Tor fällt. Dann nämlich kann man nie ganz genau sagen, wo sich ein Teilchen befindet und wie schnell es sich in welche Richtung bewegt.
In unserer Alltagswelt nimmt der Ball nur genau einen Weg. Ein Quantenfußball jedoch zeigt nach dem Freistoß das Ergebnis aller möglicher Wege – nur mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit.
Tatsächlich lässt sich der Freistoß in der Quantenwelt experimentell sehr gut nachbauen: mithilfe zweier Spalte, die die einzige Möglichkeit eines Lichtteilchens (Photons) sind, von einem Startpunkt ausgehend einen Messapparat zu erreichen. Anders als man in diesem Fall in der Alltagswelt erwarten würde, sieht man nicht einfach zwei Lichtstreifen – einen von den Photonen, die den Weg durch den linken Spalt gewählt haben, und einen, der von den rechts entlang geflogenen Lichtteilchen kommt. Stattdessen bildet sich ein Muster heraus, das sich so interpretieren lässt, dass sich das Licht hier wie eine Welle verhalten hat: ein Interferenzmuster. In dieser Interpretation geht die Lichtwelle gleichzeitig durch beide Spalte.
Schickt man Licht auf einen Doppelspalt, zeigt sich auf dem Beobachtungsschirm ein typisches Interferenzmuster. Das Ganze funktioniert auch mit Elektronen!
Noch überraschender wird diese Beobachtung, wenn man die Lichtquanten schön der Reihe nach eines nach dem anderen in diese Doppelspaltapparatur sendet. Müsste dann nicht jedes Teilchen sich entscheiden, welchen der beiden Wege es geht? Mitnichten! Erstaunlicherweise tauchen auf dem Empfängerschirm hinter den Spalten zwar einzelne Punkte der Photonen auf, aber zunächst an scheinbar völlig zufälligen Orten. Wenn allerdings einige Hundert oder Tausend Photonen das Experiment hinter sich haben, wird das Interferenzmuster der Wellen immer deutlicher sichtbar.
Die Wissenschaft interpretiert die Welleneigenschaft als „Wahrscheinlichkeitsverteilung“. Die Wellenfunktion von Quantenteilchen wird daher erst bei der Beobachtung von vielen Vorgängen präzise sichtbar. Die Formeln, die das Doppelspaltexperiment beschreiben, machen für ein einzelnes Photon keine genaue Vorhersage – sie beschreiben lediglich die Wahrscheinlichkeit, dass es an einem bestimmten Ort auf dem Empfängerschirm ankommt.
Ein weiteres Quantenphänomen, in dem die Wahrscheinlichkeit eine wichtige Rolle spielt, ist der radioaktive Zerfall. Beim Alphazerfall stößt ein Atomkern, der aus vielen Protonen und Neutronen besteht, vier dieser Kernbestandteile aus: Ein Alphateilchen ist dasselbe wie ein Helium-Atomkern und besteht aus zwei Protonen und zwei Neutronen. Mithilfe der Quantenmechanik kann man für den Ausgangsatomkern berechnen, wie wahrscheinlich es ist, dass vier seiner Bestandteile den Kern verlassen, an den sie eigentlich gebunden sind. Um ihn zu verlassen, müssen sie eine unsichtbare Barriere überwinden oder quasi einen Tunnel durch sie graben. Da auch hier Wellenphänomene eine Rolle spielen, wird diese Wahrscheinlichkeit gleich hinter der Barriere nicht wie im klassischen Fall sofort genau null. Es gibt eine kleine Restwahrscheinlichkeit, dass das neue Kernteilchen – das Alphateilchen – sich außerhalb des Kerns aufhalten kann, es also durch die Barriere hindurchtunnelt. Daher der prägnante Name „Tunneleffekt“ für dieses und verwandte Phänomene.
Lebensdauer und Halbwertzeit beschreiben im Prinzip das Gleiche. Leichter verständlich ist der Begriff der Halbwertzeit: Das ist die Zeit, nach der noch die Hälfte aller Atomkerne eines radioaktiv zerfallenden Materials vorhanden ist. Die mittlere Lebensdauer eines einelnen Atoms ist erstaunlicherweise länger als die Halbwertzeit, und das hängt mit den mathematischen Eigenschaften der Exponentialfunktion zusammen. Die Mittlere Lebensdauer ist rund 1,44 mal so groß wie die Halbwertzeit (genau 1/ln(2) mal so lang).
Wie groß diese Wahrscheinlichkeit ist, hängt von der genauen Art des Atomkerns ab. Je größer sie ist, desto kürzer ist die mittlere Lebensdauer des Kerns und damit die Halbwertzeit des radioaktiven Materials. Wenn man allerdings einen Brocken eines solchen Materials vor sich liegen hat, kann man nicht vorhersagen, welcher der Abermilliarden von Atomkernen als nächstes zerfallen wird oder wann genau der eine Kern, den man sich zur Beobachtung herausgesucht hat, seine Umwandlung durchmacht.
Diese statistische – geradezu zufällige – Eigenschaft der Quantenphänomene hat einige praktische Auswirkungen. Eine davon lässt sich mit der Digitalkamera des Smartphones leicht überprüfen: Wenn nur wenig Licht auf die Pixel des Detektors fällt, dann kann ist es die Regel, dass benachbarte Pixel nicht die gleiche Helligkeit messen. Wenn etwa auf ein 10×10-Pixelfeld des Sensors insgesamt nur 200 Photonen während der Belichtung auftreffen, dann werden praktisch nie gleichmäßig genau zwei Photonen auf jedem Pixel landen, was dem Durchschnittswert entspräche. Stattdessen werden benachbarte Bildpunkte mal keine, mal zwei, mal sechs und vielleicht sogar mal zehn Photonen enthalten – das typische Bildrauschen mit unterschiedlich hellen Pixeln bei schwach belichteten Aufnahmen entsteht.
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