Seit einigen Jahren ist es Standard, dass die Adressen der meisten Webseiten nicht mehr mit dem klassischen http:// beginnen, sondern um das „s“ zu https:// erweitert sind. Das „s“ darin steht für „sicher“, was bedeutet, dass die Übertragung verschlüsselt erfolgt. Das Verschlüsselungsverfahren beruht an zentraler Stelle des Algorithmus auf einer schwierigen mathematischen Aufgabe: auf der Zerlegung einer großen Zahl in zwei nicht ganz so große Primzahlen, also Zahlen, die nicht als Produkt anderer Zahlen dargestellt werden können. Die Primzahlen, die dabei benutzt werden, haben mehrere Hundert Stellen. Es ist für aktuelle Computer recht einfach, die beiden zufälligen Ausgangs-Primzahlen zu erzeugen sowie deren Produkt zu berechnen, auch wenn es eine Zahl mit hundert Stellen oder mehr ist. Der Umkehrschritt jedoch, aus dem Produkt auf die beiden Primzahlen zu schließen, erfordert auch auf den schnellsten Computern eine Rechenzeit von mehreren Jahren oder Jahrzehnten. Daher gilt dieses Verfahren als für herkömmliche Computer in der Praxis unknackbar.
Anders wäre es jedoch, wenn man Quantencomputer verwenden könnte. In ihnen werden die Zahlen nicht als feste Folge von Bits als Nullen oder Einsen dargestellt. Die Rolle der Bits im Quantencomputer übernehmen „Qubits“. Qubit ist ein Kunstwort, in dem das „Qu“ den Quanten entnommen ist und das Bit aus der klassischen Computertechnik kommt. Ein Qubit hat zunächst einmal keinen bestimmten Zustand (also keinen Zahlenwert „1“ oder „0“, ähnlich wie Schrödingers berühmte Katze nicht „tot“ und nicht „lebendig“ ist). Trotzdem kann man mit ihm rechnen. Das Ergebnis wird allerdings erst ausgespuckt, wenn der Ausgangswert der Operation durch eine Messung festgelegt wird – ganz so, wie sich bei der Katze erst im Moment des Öffnens der Box entscheidet, ob sie tot oder lebendig ist.
Um die Problematik von überlagerten Zuständen darzustellen, überlegte sich Erwin Schrödinger folgendes Gedankenexperiment: Man sperre eine Katze in einer Kiste ein. Darin befinde sich außerdem ein radioaktiver Atomkern. Zerfällt er, so wird über einen Mechanismus eine Giftflasche zerstört, dessen ausströmendes Gift die Katze tötet. Solange die Kiste geschlossen ist, weiß man nicht, ob der Atomkern schon zerfallen ist. Ist die Katze also tot oder lebendig? Die Quantenmechanik behauptet, dass sie beides ist – erst beim Öffnen der Kiste entscheidet sich ihr Schicksal, denn das entspricht der Messung des Zustandes.
Schrödinger wollte damit zeigen, welche wenig intuitiven Konsequenzen es hat, wenn man die Unbestimmtheit quantenmechanischer Zustände auf die makroskopische Welt überträgt. Man kann Schrödingers Gedankenexperiment aber folgendermaßen aushebeln: Während Quantensysteme von ihrer Außenwelt abgeschottet werden können, stellt eine Katze kein Quantensystem dar, da sie fortwährend auch durch eine noch so geschickt konstruierte Kiste Informationen mit der Umgebung austauscht.
Ein weiterer dramatischer Unterschied von Quantencomputern zu klassischen Rechnern ist die Anzahl der Speicherstellen. Während beim Hauptspeicher, dem RAM, heute 4 bis 32 Gigabyte (Milliarden Speicherstellen zu je 8 Bit) schon bei Notebooks üblich sind, geben sich die bisher existierenden Quantencomputer mit 20 Qubits (ganz ohne Mega oder Giga) vergleichsweise bescheiden – und dennoch würden nur 50 Qubits ausreichen, um die Primzahlen-Verschlüsselung zu knacken, weil die Quantenrechenoperationen immer parallel für alle möglichen Zustände – also für alle denkbaren Zahlen des Primzahlenproduktes – ausgeführt werden. Allerdings sind Quantencomputer immer nur für solche und ähnliche Spezialaufgaben interessant, in denen die klassischen Maschinen an ihre Grenzen kommen. Aufwändige 3D-Spiele oder eine Textverarbeitung werden wahrscheinlich auch in Zukunft auf normalen Computern laufen.
Wenn nun ein solcher Quantencomputer die bisherige „sichere“ Kommunikation knacken könnte – welchen Ausweg gibt es da? Die Lösung liegt hier in der „Verschränkung“ von Quantenobjekten. Verschränkung bedeutet, dass Quantenobjekte mit einem gemeinsamen Ursprung, etwa gleichzeitig erzeugte Photonen oder Elektronen, bis zu einer Messung quantenmechanisch ein Objekt sind. Eine technisch gut handhabbare verschränkte Eigenschaft von Photonen ist ihre Polarisation, also die Schwingungsrichtung der Lichtwellen. Mithilfe der Polarisationsmessung lässt sich so eine optische Übertragungsstrecke aufbauen, mit der ein Datenschlüssel absolut sicher ausgetauscht werden kann, nämlich als Folge von Zufallszahlen, die dann nur Sender und Empfänger bekannt ist. Diese Zahlenfolge ersetzt dann die großen Primzahlen des https-Protokolls.
Diese Quantenkommunikation ist nicht nur eine mögliche Spielerei für die Zukunft. Unter dem Dach der QuNET-Initiative wurden mit Fördermitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) seit Ende 2019 die technologischen Grundlagen geschaffen, um eine erste durch Quantenkommunikation gesicherte Verbindung zwischen zwei Bundesbehörden aufzubauen. Zu Testzwecken wurde diese Kommunikationsstrecke zwischen dem Forschungsministerium und dem Bundesamt für Sicherheit der Informationstechnik eingerichtet und am 10.8.2021 in Form einer durch Quantenschlüssel gesicherten Videokonferenz öffentlich präsentiert. Im weiteren Verlauf des Projektes soll unter anderem diese Punkt-zu-Punkt-Verbindung auf mehrere Teilnehmende erweitert und die Technologie kompakter und anwendungsfreundlicher werden. Die Projektbeteiligten arbeiten eng mit behördlichen Stellen sowie der IT-Sicherheits- und Telekommunikationsindustrie zusammen, um bei der Entwicklung eines zukünftigen Pilotnetzes zur Quantenkommunikation Sicherheitsaspekte ganzheitlich zu berücksichtigen. Für Ende des Jahrzehnts – so die Erwartung – soll die Technologie dann so weit entwickelt sein, dass quantenverschlüsselte Kommunikation auf Basis der QuNET-Entwicklungen kommerziell angeboten werden kann.
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